Der kleine Tierfreund

Die Kälte, ewig lockendes Weib

Wenn die Tage wieder kälter werden und die verweichlichten Stadtbewohner die Ufer heimischer Seen und Tümpel geräumt haben, beginnt für uns abgehärtete Naturmenschen die Badesaison.

Erwartungsfroh lenken wir die Zweitaktricke an den Teich und stippen den ersten Teil unseres madigweißen Körpers in den schwappenden Strom. Stahlblau angelaufen ziehen wir nur zögernd einen Zeh aus den Fluten und bestaunen die chamäleonhafte Extremität. Schon folgt der Fuß und belohnt unseren Mut mit einem Kribbeln, wie wir es nicht mehr kannten, seit der Zeit, als uns das sandalenbewehrte Glied in den Speichenschredder der bißigen Kreidler geriet. übermannt vom Glücksgefühl des vereisten Geläufs wagen wir den nächsten Schritt hinaus in den offenen See.

Wehmütig erinnert sich das Knie an den Kessel von Stalingrad, und auch Freund Oberschenkel schmeckt die herbe Frische des eisigen Elixiers. Mit blasigem Grind auf blauem Grund antwortet der stämmige Veteran auf die Liebkosung durch das silbrig schimmernde Naß. Unerbittlich dringt der Strom aufs Geschröte vor, und schon bald taucht das erstarrte Kurzwildbrett des Kreidlerfahrers in die betäubende Gischt des Tümpels, wird eins mit den Fluten. Und in eisiger Umklammerung reißen die frostigen Nymphen des Wassers dem stählernen Badegast die Brunftkugeln vom Gemächte.

Die Kälte, dieses ewig lockende Weib, nimmt den Tierfreund auf in ihren Schoß. Halb zog sie ihn, halb sank er hin. Und am Ufer steht verlassen die zweirädrige Ricke und blickt mit trübem Scheinwerfe über die Wasser, die sich überm Halb


(Autor: Dietmar Wischmeyer)