Wischmeyer: DIE EIGENE KOTZE ALS LEBENSRAUM

Festivals

Wenn 30 000 Bekloppte mal drei Tage ausprobieren wollen, wie's in Albanien so groovt, dann buchen sie ein Wochenende Flüchtlingslager, in Mitteleuropa Open-Air-Festival genannt. Hier kann man nach Herzenslust an fremde Zelte pinkeln, den Pudel grillen oder seinen dreckverkrusteten Piephahn in fremde Menschen stecken. Vornehmlich die wehrpflichtige Jugend besorgt sich hier die ihnen vorenthaltene Fronterfahrung. Mal richtig in der Scheiße liegen, wie der Opa immer erzählt von Stalingrad. Bewußtseinsmäßig noch näher allerdings ist die Mutter aller Festivals, Woodstock 69. Hier wurde zum ersten Mal das Kacken in fremde Vorgärten als revolutionärer Akt gefeiert. Woodstock hat Maßstäbe gesetzt: ohne Müll und Schlamm ist die Chose nur halb so witzig. Muß man dann für den halben Liter Büffelpisse noch einen Zehner bluten, juppheidie, dann hält man's kaum noch aus vor Witzigkeit. Der Profi hat sich natürlich den ganzen Ford Fiesta mit Dosenjauche vollgezergelt, um sich unabhängig von Dritten die Hutze voll zugießen. Hätt' ich beinahe vergessen, nebenbei wird auf einem Festival auch noch Musik verabreicht. Die diversen Bands liefern den wummernden Soundtrack zum Gesaller. Wer da wo wie lange auf der Bühne rumorgelt, ist völlig wumpe, Hauptsache laut und breiig. Da fragt sich der kritische Betrachter doch, wieso sich zig Tausende juveniler Scheinselbständiger für 150 öcken dieser Tortur aussetzen. Nun, wenn's denn den Horizont erweitert, könnte man sich doch auch mit'nem Sixpack in die Einflugschneise legen, sich gegenseitig anpissen und den Müll nicht wegräumen - das ist preiswert und terminunabhängig. Jaha, aber das ist quasi nicht so revolutionär. Festivals leben von ihrem Zitatcharakter, sie sind die inszenierte Erinnerung an die Zeit, als Jugendkultur noch ein gesellschaftlicher Gegenentwurf zu sein glaubte. Sie sind Retro-Design für schwäbische Oberschülerinnen und ihre Stecher mit den Ziegenbärten. Hier spielen sie noch einmal für drei Tage Woodstock nach, bevor sie sich zu Hause wieder im Internet schlafen legen. Der Müll wird zum letzten Symbol einer verlorenen Freiheit. Rumsauen, Kotzen und Pissen als Reste eines dionysischen Lebens, wie es in der geordneten Welt der bis zum Erbrechen Erwachsenen nicht mehr möglich ist. Darum wird es sie auch noch in fünfzig Jahren geben, die Open-Air-Festivals, denn je abgezirkelter die Welt ist, in der wir leben, desto mehr träumen wir davon, bei lauter Musik mal wieder anständig in den Graben zu scheißen.