Wischmeyer: NUR DER SCHLüPFER WAR ZEUGE

In Door-Koten

Ursache allen übels menschlichen Zusammenseins ist die Dreizimmerwohnung, ein Pferch, entworfen, um die Kleinfamilien kostengünstig aufzustapeln. Der beengte Lebensraum zwingt die Insassen notgedrungen zu Kompromissen. Einander vom Wesen her fremde Körperfunktionen müssen in ein und demselben Raume vollzogen werden: Der Schlaf und der Beischlaf z. B. finden nur deshalb beide im Schlafzimmer statt, weil die Kontrahenten dort in der Regel bereits teilentkleidet sind. Zweiter Multifunktionsraum in der Keimzelle der Gesellschaft ist das sogenannte Badezimmer. Der Name soll beschönigend darüber hinwegtäuschen, daß hier weit weniger gebadet als ganz profan hineingeschissen wird. Nun, wo sonst, entgegnet da der Praktiker, in die Küche etwa oder im Schlafraum gar? Die Generation vor uns kannte noch das »Klo auf halber Treppe«, eine Gemeinschaftseinrichtung aller am Schisse interessierten Mieter. Der Gestank blieb der eigenen Behausung fern, und Vattern hatte stets ein Argument parat für die jüngst erworbene Geschlechtskrankheit - eine feine Sache also. Die Nachkriegszeit bescherte uns die Individualisierung und den damit verbundenen Ekel vor dem Mitmenschen. Allein die Vorstellung, sich auf die angewärmte Klobrille eines Vorbesitzers plazierenzu müssen, treibt die meisten Leute in den Brechreiz. So verschwand das Klo auf halber Treppe, und der Gestank in der eigenen Wohnung wurde als gesteigerte Lebensart verkauft - dies war die Geburt der Naßzelle aus dem Geist des Fortschritts. Seither versucht die Badindustrie den Wohnungsß ästhetisch zu verklären. Flachspülern mit Sicht auf das Vollbrachte folgten die Tiefspüler, in denen der Fäkalschlamm sofort im Wasserbad olfaktorisch neutralisiert wurde. Kloumrandungen und Deckelauflagen aus rosa Frotteematerial machen noch heute in manchem Bad eine gute Figur. Der in zwei Metern Höhe montierte Wasserkasten Typus »Niagara« wich dem dezent hinter der Fliese murmelnden Kollegen der Neuzeit. Duftkegel aus dem Fichtenwald und Raumsprays mit der wilden Frische der Limonen kämpfen heute gegen den aasigen Gestank der Verdauungsreste im fensterlosen Bad. Während sich der Geschlechtsverkehr durch allerlei Brimborium ästhetisch überhöhen läßt, bleibt das Koten die ständige Mahnung an unsere Verwandtschaft mit dem Tier. Da helfen weder Vorspiel noch Reizwäsche - für die meisten Menschen bleibt die Entleerung eine eher unangenehme Sache. So flüchtet sich der Lifestyle-Koter ins Ambiente: Wie Fremde aus der Vorzeit stehen heute die Darmwinde in der Naßzelle aus schwarzem Marmor. Angerichtet auf gediegener Porzellanschüssel, Farbe Manhattan, wird die Analfrucht alle zehn Sekunden durch Hochdruckdüsen entfernt. Dezent illuminiert von stählernem Designergefunzel, hockt der Stuhlende in seinem sündhaft teuren Kabuff. Doch gerade in diesen Momenten des Ganzbeisichselbstseins denkt er voller Sehnsucht an die Zeit zurück, da er den intimen Augenblick mit der Fliege teilen durfte.