Wischmeyer: DAS REICH DES HOMO PULLUNDRIS

Deutsche Amtsstube

Stumpfer Lenoibelag, sanduhrförmiger Eternitaschenbecher, staubige Sansiverien in Seramis-Granulat; herumliegende Zeitschriften, herausgegeben von der betrieblichen Unfallkasse, Möbel vom Sperrmüll, und dazwischen schleichen - ich sag' mal - Menschen herum, die so aussehen, als wollten sie gerade zum Kacken gehen oder kämen von dort. Heißa, wo sind wir? Richtig, auf einem deutschen Amtsflur. Wenn es den größtmöglichen Gegensatz zum Karneval in Rio gibt, dann z. B. hier auf der KFZ-Zulassungsstelle eines x-beliebigen Landkreises. Dauernd denkt man, der Tod müsse eine Erlösung sein für die wechselwarmen Reptilien, die pollundrig übers Lenol schlurfen. Warum müssen sie hier arbeiten? Sind das alles Sexualstraftäter auf Bewährung, oder was hat sie in diese extrem lebensunfrohe Umgebung erschlagen? Und wo kann man diese häßlichen Klamotten kaufen, seitdem es die DDR und Billig-Billig-Metzen« nicht mehr gibt: beigefarbene Jersey-Stretchhosen, kotzegrüne Maschinenstrickpullover mit gelb umsäumtem V-Ausschnitt, Bundfalten-Bollerarsch-Jeans - wo gibt es so was noch? Manchmal blinkt ein Nummernkasten an der Wand, und man darf in einen der Verschläge einrücken, wenn man den dazu passenden Zettel rechtzeitig gezogen hat. Kieferndekor-Plastikschreibtisch, dreitausend Ansichtskarten an der Wand, rattig abgewetzter Drehsessel und, o Wunder, ein Computer, der mit Happy Hippos übersät ist wie ein Straßenköter mit Flöhen. Dahinter hockt eine sogenannte Verwaltungsfachkraft, die man irgendwo beim Aufräumen im Keller gefunden hat. Ist sie männlich, steht auf ihrem Tisch ein Steingutbecher mit Titten dran, ist sie weiblich, ein angefressener Magermilch-Joghurt. Erstaunlich, wieviel Büromöbel man auf vier Quadratmeter unterbringen kann. Statussymbol allen Amtsschaffens ist das Ordnerkarussell oder noch besser diese Art Gefriertruhe mit rotierenden Hängeregistern. Da wühlt die Amtsperson nach sogenannten Vorgängen. Kein Computer wird jemals die Akte verdrängen, denn mit ihrem Staub bleicht der Behördenhomo seinen falen Teint. Wir haben unterdessen auf dem Besucherstuhl Platz gefunden, einem aus Vierkantrohr und orangenem Sackleinen komponierten Zweckmöbel. Selbiges findet exakt Raum in der Aussparung zwischen Schreibtisch und Ablagebock - unsere Beine leider nicht mehr. Minutenlang brütet das Lebewesen gegenüber in den von uns mitgebrachten Papieren, um endlich einen Befund zu äußern: »Und wo ist die Unbedenklichkeitsbescheinigung des unteren Wasserbeschaffungsverbandes?« An alles haben wir gedacht, den Ariernachweis der Oma, das Impfzeugnis des Zwergteckels, ja sogar an den Wehrpaß des Wellensittichs-ja, heissa, aber die UbBduWbV 2/7, die haben wir dummerweise vergessen. »Tumirleid«, orakelt das bleiche Lebewesen, »müssensenomawiedakomm.« Sicher, warum nicht, kostet ja auch bloß einen Urlaubstag, so'n witziger Behördengang, da schauen wir doch gerne noch mal rein in den Primatenzoo der Acryl-Pollundristen. Unterdessen erquicken wir uns draußen am Getränkeautomaten bei Limonaden, die es sonst nirgendwo auf der Welt noch gibt: Mirinda, Rocky-Cola oder den Sunkist-Saftpyramiden.